Ö |
Schrifttragende Artefakte in Neuen Medien |
ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Teilprojektleiterin | Dr. Dipl.-Soz. Friederike Elias |
akademischer Mitarbeiter | Christian Vater, M.A. |
Projektbeschreibung
"Wholly new forms of encyclopedias will appear, ready made with a mesh of associative trails running through them, ready to be dropped into the memex and there amplified."
Vannevar Bush (1945): "As we may Think"
Theorie
Die Konzeption des TP Ö erfolgt entlang der theoretischen Grundpositionen des SFB 933 und stellt zwei neue Fragen: Welche Folgen hat die Digitalisierung auf die Rezeptions- und Herstellungspraktiken schrifttragender Artefakte in unserer Wissenskultur? Welche neuen Möglichkeiten der (Wissenschafts-) Kommunikation entstehen durch die Digitalisierung und werden unter welchen Umständen nutzbar?
Der SFB 933 begrenzt konzeptionell sein Forschungsfeld mit zwei historiographischen Zäsuren – der Verschriftlichung im frühen Zweistromland auf Tontafeln und der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern in der frühen Neuzeit. An der Universität Heidelberg finden sich ausgewiesene Experten und einschlägige Sammlungen zu Forschungen in diesem Feld. Da wir in einer Zeit einschneidender technologischer, technischer und praxeologischer Veränderungen mit einem erneuten medialen „Zäsurcharakter“ leben, werden genau diese Experten zur Materialität und der Auswirkung ihrer Veränderung befragt, um übergreifende Antworten zu erhalten, die in der Gegenwart handlungsleitend und erkenntnisführend sein können. Um den rezenten medialen Anforderungen und Gewohnheiten gerecht zu werden, nutzt das TP Ö Neue Medien zur Wissensvermittlung – dynamischen kollaborativen Semantischen Hypertext (mit Schwerpunkt Wikipedia), Video-Streams (unter Nutzung von YouTube) und Augmented Reality (mit Wissen angereicherte geoinformatische Karten als Smartphone-App). Hierbei wird davon ausgegangen, dass sich Erkenntnisse, Begriffe und Methoden, die anhand der schrifttragenden Artefakte vor-typographischer Kulturen gefunden und entwickelt wurden, auf eine „post-typographische“ Kulturstufe übertragen lassen.
Die computerbasierten Neuen Medien eigenen sich hierbei selbst für eine Untersuchung durch den Sonderforschungsbereich „Materiale Textkulturen“, denn auch hier stehen die materiellen Grundlagen und das Spektrum der möglichen Kommunikationsformen in einem spannungsreichen Verhältnis. Sie zeichnet aus, dass sie mit je verschiedenem Gewicht durch folgende Merkmale geprägt sind:
- Neue Medien sind prozessual (also nicht abgeschlossen).
- Neue Medien sind partizipativ (also kollaborativ und niedrigschwellig zugänglich).
- Neue Medien sind enzyklopädisch (also tendenziell wachsend, umfassend und erweiternd)
- Neue Medien sind räumlich (also durch relationale Netzwerke und gegenseitige Verweise wechselseitig verbunden).
Die zeitaktuellen hochbeschleunigten Veränderungen unseres Arbeits- und Alltagslebens durch die digitale Revolution und allgegenwärtige Kommunikation stellen uns vor eine große gesellschaftliche und individuelle Herausforderung, bieten aber auch neue Möglichkeiten der kollaborativen Partizipation an Wissen und der Distribution von Wissen (Berners-Lee 1999, 2001). Die Rede von einer post-typographischen Gesellschaft ist inzwischen nicht unberechtigt (schon McLuhan 1962, 1964, 1969), der individuelle und gesellschaftliche Adaptionsdruck aufgrund der Veränderungen unserer Kommunikationsgewohnheiten hat unbestritten stark zugenommen und nimmt stetig zu (schon Toffler 1970, 1980). Es ist nicht unmöglich, dass sich durch die aktuellen Veränderungen eine neue Art der non-typographischen Gesellschaft herausbildet – es kommt in gewissem Sinn zum Ende der „Gutenberg-Galaxis“. Eine Strategie, sich dieser Herausforderung zu stellen, ist ein Blick in die Geschichte der Produktion von und des Umgangs mit schrifttragenden Artefakten in vergangenen non-typographischen Gesellschaften. Diese Geschichte erzählt vom Wandel der Materialität der Textträger, des medialen Wechsels und der Veränderung der Verwendungspraktiken. Diese Wandel- und Wechselbewegungen lassen sich mit Hilfe des im SFB 933 erarbeiteten gemeinsamen Forschungsprogramms und Fachvokabulars treffend fassen: Akteursnetzwerke, Rezipientenkontext, Schriftsysteme und Beschreibstoffe ändern sich nachweislich seit Erfindung der Tontafel, auch und grade aufgrund der Affordance und der Effektivität der beschriebenen Gegenstände. So ermöglicht die historische Perspektive systematisch Rückschlüsse auf das Wechselspiel von technologischen Gegebenheiten und Entwicklungen menschlicher Praxis, die auch in der Gegenwart erkenntnisführend und handlungsleitend werden können (siehe auch die aktuelle Debatte in der Philosophy of Information: Floridi 2011).
Gleichzeitig kann der interessierten Öffentlichkeit das im SFB vorhandene Medienmaterial (Bilder von schrifttragenden Artefakten, Open-Access-Publikationen, Texte unter Creative Commons) wenn rechtlich möglich passend strukturiert zur Verfügung gestellt werden, und zwar zusammen mit zuverlässigen Beschreibungen, Bearbeitungen und Deutungen.
Praxis
Das Teilprojekt „Schrifttragende Artefakte in Neuen Medien“ wird neue Formen der digitalen Wissenschaftskommunikation auf die Fragestellungen und Themenkomplexe des Sonderforschungsbereichs 933 anwenden. Gleichzeitig sollen die Forschungsergebnisse des SFB 933 und die hier erforschten Materialien die Öffentlichkeit darin unterstützen, die zurzeit ablaufende „Digitale Revolution“ besser zu verstehen. Darüber hinaus werden geeignete Bestände an Texten und Bildmaterial in frei und niedrigschwellig zugängliche digitale Wissensrepositorien übertragen.
Zentraler Baustein des Konzeptes ist die professionelle Arbeit mit der Wikipedia und ihren Schwesterprojekten, die als Musterbeispiel kollaborativer Wissenssammlung und -sicherung gesehen wird, da sich hier höchstmögliche Reichweite mit stark gemischtem Nutzerkreis verbindet. Hierzu wird ein „Wikipedian in Residence“ berufen. Des Weiteren soll für mobile Endgeräte eine App erstellt werden, die zu einem Stadtrundgang mit dem Schwerpunkt „Schrifttragende Artefakte“ durch Heidelberg einlädt. Dieser Stadtspaziergang wird familiengerecht durch eine GeoCaching-Route begleitet. Zum Dritten werden kurze Video-Dokumentationen erstellt, die mit vielseitigen Einbindungs- und Einbettungsmöglichkeiten über YouTube veröffentlicht werden und für Wikipedia und App genutzt werden können.
Wissenschaftskommunikation wird hierbei als ein kommunikativer Prozess verstanden, der nur als bottom-up Bewegung denkbar ist. Neben einer breiten Öffentlichkeit und den „Wikipedianern“ sollen insbesondere auch die Besucher und Bewohner der Metropolregion Rhein-Neckar auf den Forschungsverbund aufmerksam und für seine Inhalte interessiert werden.
Veranstaltungen
20.04.-17.07.2015: Akademische Mittagspause 2015 „5.300 Jahre Schrift – Eine kleine Menschheitsgeschichte in 61 Motiven“ (gemeinsam mit dem Heidelberg Center for Cultural Heritage - HCCH)
In diesem Rahmen:
07.07.2015: Friederike Elias: „Barbara“
16.7.2015: Christian Vater: „Hypertext – eine autooperative Schrift im semantischen Raum“
WiSe 2016/2016: Proseminar "(Schreib-)-Maschinen und Gesellschaft."
(Interdisziplinär, Max-Weber-Institut für Soziologie + Philosophisches Seminar, Leitung: Friederike Elias und Christian Vater)
18.02.+19.02.2016: Video-Workshop "Webvideos und Artefaktbiographien" (Leitung: Eckhard Geitz, Dokumentarfilmer, Uni Kassel).
Ein Workshopbericht findet sich hier.
03.08.-05.08.2016: Antike Vasen wikifizieren. Wikipedianer zur Gast in der Lehrvasensammlung : GLAM-on-Tour-Station im Antikenmuseum der Universität Heidelberg (mit Jahrestreffen der Wikipedia-Redaktion Altertum). (Kooperation TP A10, Prof. Dr. Nikolaus Dietrich)
28.10.2016: Workshop: "Stets offen für die Wikipedia: Wie man professionell mit den Wikipedianern und ihrer Online-Enzyklopädie umgehen kann" (Kooperation Kommunikation und Marketing Uni Heidelberg. Leitung: Marietta Fuhrmann-Koch, Friederike Elias)
07.03.2017: Workshop: "WikiWissen: Ein Blick hinter die Suchmaske. Was nützlich ist, um sinnvoll mit der Wikipedia zu arbeiten" (Fortbildung Abt. Inofrmationsdienste und Lesebereiche, UB Heidelberg)
24.03.2017: Workshop: "Stets offen für die Wikipedia: Wiki-Workshop-Wissenschaftskommunikation, 2. praktischer Teil" (Kooperation Kommunikation und Marketing Uni Heidelberg.)
10.-11.10.2017: Wikipedia trifft Wissenschaft: "GLAM on Tour in der Universitätsbibliothek Heidelberg - Bibliotheca Palatina und Wikipedia" (In Zusammenarbeit mit der UB Heidelberg, verschiedenen Wiki-Projekten und WMDE)
29.11.2017: "Wissenschaftskommunikation mit Wikipedia" (Interaktiver Workshop, 10. Forum Wissenschaftskommunikation, Braunschweig, Gemeinsam mit Friederike Elias - SFB933 -, Nele Schneidereit - SFB933 - und Dominik Scholl - WMDE)
23.-25-05.2019: "Über das Versiegeln und Öffnen von Black Boxes - Dispositive und Artefaktarrangements als Analyseinstrumente" (in Zusammenarbeit mit dem Teilinstitut für Geschichte am Institut für Technikzukünfte des Karlsruher Instituts für Technologie (Marcus Popplow, Silke Zimmer-Merkle) und dem INSIST-Nachwuchs-Netzwerk (Mathis Nolte). (CfP: H/SOZ/KULT; DGPhil)
> Programm
> Aushang
Publikationen
Christian Vater (2019): Die Wikipedia und das Software-Dispositiv. Eine digitale kollaborative Onlineenzyklopädie für die „Turing-Galaxis“ - und die Geschichte des Hypertextes, in: Gredel, Eva, Laura Herzberg u. Angelika Storrer (Hgg.): Linguistische Wikipedistik - Diskurse, Interaktionen und Analysemethoden. Mannheim: UBM (=Diskurse - digital, Sonderband 1). (OpenAccess)
Michaela Böttner, Ludger Lieb, Christian Vater, Christian Witschel (Hgg.) (2017): "5300 Jahre Schrift", Wunderhorn : Heidelberg.
Dazu begleitende Webseite - OpenAccess Volltext + Webbeigaben.
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darin: Vater, Christian (2017): "Hypertext"
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darin: Elias, Friederike (2017): "Barbara"
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darin: die Herausgeber*innen (2017): "Vorwort"
Charlotte Lagemann, Tina Schöbel, Christian Vater (Hgg.) (2015): "LebenDingeTexte. Begleitheft zur Ausstellung", UB Heidelberg : Heidelberg - OpenAccess Volltext.
Konferenzbesuche + Workshopteilnahmen
18-20.09.2015: WikiCon 2015 "Wissen fängt mit W an" (Dresden)
29.-30.09.2015: Abschlusskonferenz „Wissenschaft und Öffentlichkeit – Das Verständnis fragiler und konfligierender Evidenz“ (SPP1409)
27.+28.05.2015: Fast Forward Science-Barcamp 2016 (Berlin)
16.-18.09.2016: WikiCon 2016 "Wissen fängt mit W an" (Stuttgart) (Vortrag + Workshop)
03.12.2016: WikiLibrary Barcamp 2016. Bibliotheken im Netz – Digitale Allmende!? (SLUB Dresden) (Vortrag + Workshop)
10.-12.08.2017: WikiMania2017 (Montreal) (Vortrag auf Weltkongress)
08.-10.09.2017: WikiCon 2017 "Wissen fängt mit W an" (Leipzig) (Workshop)
05.-07.10.2018: INSIST Nachwuchstagung "Von Menschen und Maschinen. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Verhältnis von Gesellschaft und Technik in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft". (Karlsruhe) (Moderation Panel "Theoretische und methodische Zugänge zum Nexus Mensch-Maschine II")
Presseberichte
12.10.2016: "Antike in Heidelberg" (Marcus Cyron berichtet über die gemeinsame GLAM on Tour-Station im Antikenmuseum im Wikipedia:Kurier)
03.11.2016: "Uni Heidelberg arbeitet erstmals mit 'Wikimedia' zusammen. Vom Archiv in die Internet-Enzyklopädie - Beide Seiten können profitieren." (RNZ, Campus Heidelberg)
14.01.2017: "Schreiben für Wikipedia. Das Online-Lexikon an der Uni." (SWR2 - Beitrag von Martina Senghas zur GLAM on Tour-Schreibwerkstatt in der Antikensammlung der Uni Heidelberg) (Audio-Mitschnitt)
20.02.2017: "Wikipedia-Eintrag statt Hausarbeit" (Deutschlandfunk - Beitrag in "Campus und Karriere" von Martina Senghas zur Arbeit mit unseren Studierenden in der Wikipedia) (Skript) (Audio-Mitschnitt)
21.02.2017: "Wikipedia-Eintrag statt Hausarbeit" (Spiegel-online - Beitrag von Swantje Unterberg zum Verhältnis von Hausarbeit und Wiki-Artikel als Textform und Leistungsnachweis)
23.02.2017: "Wikipedia statt Hausarbeit" (Uni Münster - QRadio, Kollegengespräch)
23.02.2017: "Wikipedia-Einträge anstelle von Hausarbeiten" (Stuttgarter Nachrichten - Beitrag von Katharina Freundorfer)
24.02.2017: "Wikipedia-Artikel statt Hausarbeit" (ZDF heute+ - Online-Redaktion, "Cross-Media")
27.02.2017: "Wikipedia statt Hausarbeit" (SWR2 - Beitrag für "Impuls" von Martina Senghas)
27.03.2017: "Leistungsnachweise im Studium Wikipedia-Artikel statt Hausarbeit" (Deutschlandfunk Nova - Beitrag von Armin Himmelrath im Gespräch mit Dominik Schottner)
01.12.2018: "Seminararbeiten - alles für die Tonne?" (F.A.Z. - Blogseminar-Blog von Eva Heidenfelder)
13.08.2018: "Dem 'Lebendigen Geist' auf der Spur" (RNZ - Beitrag von Ingeborg Salomon in 'Kultur Regional')
09.10.2018: "Digitalisierung in Hochschulen - Wikipedia-Artikel statt Hausarbeit" (Erziehung & Wissenschaft 10/2018 - Bericht von Armin Himmelrath)